YOU


Morris Lüthi

YOU

Das Bild zeigt einen Körper, der seine Geschichte trägt – Emotionen eingeschrieben in Haut. Die Emotionen entstehen aus der Erfahrung, in einem Körper zu leben, der sich fremd anfühlt, aus dem Bedürfnis, etwas zu verändern, um überleben zu können: «Mit 10 Jahren wusste ich, dass ich die Menstruation nicht bekommen darf. Warum, konnte ich damals noch nicht verstehen, aber ich wusste, ich würde es nicht überleben. In meiner Kindertheorie ging ich davon aus, dass dünne Menschen die Menstru- ation erst spät oder gar nicht bekommen würden und hörte unter anderem des- halb auf zu essen. Es folgten viele Jahre, in denen Anorexie und Selbstverletzung mein Leben bestimmten. Eine Antwort für das Warum hatte ich keine. Als ich nach einem Jahr, in dem es mir zum ersten Mal besser ging, trotzdem zu menst- ruieren begann, fiel alles in mir zusammen. Monatliche Suizidversuche und noch immer keine Antwort. Als ich schliesslich am Ende meiner Kraft war, bat ich um irgendeine Entlastung dieser Situation und mein Behandlungsteam entschied, dass die Pille, die geeignete Lösung war. So musste ich die Menstruation nur noch ale paar Monate durchstehen und in den Augen der Therapeut*innen mich «daran gewöhnen». Aber das passierte nie. Ich versuchte ales, um meinen Kopf davon zu überzeugen, dass es nichts Schlimmes ist, dass es normal ist, dass es Menschen während der Zeit nicht gut geht und dass es auch eine gewisse Schönheit in sich trägt. Aber jedes Mal, wenn ich die Pille für eine Woche abset- zen musste, traf es mich mit voller Wucht. Mein Körper machte alles, was für mich unaushaltbar war und ich konnte nur im Bett liegend warten, bis es vorbei war. In der Hoffnung, dass die schlimmen Gedanken und Gefühle nicht die Oberhand gewinnen.» Die Hand mit der Pille ist ein stiller Ausdruck von Hoffnung und Kontrolle zugleich: Hoffnung auf Erleichterung, Kontrolle über einen Körper, der nicht dem inneren Empfinden entspricht. Doch auch diese Pille war keine Befreiung, sondern nur eine Verschiebung des Unerträglichen. Emotionen lösen viele Handlungen aus – Vermeidung, Selbstverletzung, Medikamente – alles Versuche, ein Stück Kontrolle zurückzugewinnen. Und doch bleibt die Frage – lässt sich Emotion wirklich kontrollieren, oder nur ihr Auslöser? Das Bild hält diese Ambivalenz fest und zeigt, wie tief Emotionen in Körper und Identität eingreifen.

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